PUB - Publikationen an der Universität Bielefeld

Beobachtet man Studierende in ihrem Alltag, stellt man fest, dass diese häufig mehrere Dinge gleichzeitig tun. So beobachtete ich kürzlich zwei Studentinnen, die während eines gemeinsamen Mittagessens ihre Laptops aufklappten und beim Essen einer Online-Vorlesung beiwohnten. Auch in Bibliotheken sieht man Studierende, wie sie Lernen und nebenher und zwischendurch noch etwas anderes tun. Diese Praxis nennt sich Multitasking und beschreibt das Durchführen von mehreren Tätigkeiten im gleichen Zeitfenster (Salvucci, Taatgen & Borst, 2009). In der vorliegenden Dissertation geht es um die Untersuchung von Multitasking bei Studierenden hinsichtlich folgender Ziele: 1.) Untersuchung der Häufigkeit von Multitasking im Alltag von Studierenden, 2.) Überprüfung des Zusammenhangs von Multitasking (vs. Monotasking) und Konzentration sowie Affekt, 3.) Untersuchung des Zusammenhangs von momentaner Motivation im Sinne der Selbstbestimmungstheorie und Multitasking, und 4.) Untersuchung der Zusammenhänge von Grit, momentaner Motivation und Multitasking. Zur Verfolgung der Ziele wurden insgesamt drei Studien mit der Experience Sampling Methode (ESM) durchgeführt. Bei allen Erhebungen nahmen Studierende der Rechts- und Erziehungswissenschaften in der Studieneingangsphase der Universität Bielefeld teil. Die Teilnehmer*innen wurden mehrere Male täglich über die Movisens XS Software auf einem Handy gebeten, ihren aktuellen Affekt, ihre Haupttätigkeit und ob sie nebenher noch etwas anderes tun, zu berichten. Außerdem wurde ihre momentane Motivation gemäß der Selbstbestimmungstheorie (Ryan & Deci, 2017) erhoben. Abhängig von der Forschungsfrage wurden zusätzlich Variablen wie Konzentration oder Grit (Duckworth & Gross, 2014) erfragt. Die Ergebnisse zeigen, dass Studierende häufig, nämlich in über 25% der erhobenen Situationen, Multitasking berichten. Beim Monotasking, wenn also keine Nebentätigkeit durchgeführt wurde, war die Konzentration der Studierenden jedoch höher als beim Multitasking. Andererseits war der positive Affekt beim Multitasking höher als beim Monotasking, aber nur, wenn Multitasking autonom motiviert war. Besonders häufig wurde Multitasking betrieben, wenn die Motivation für die Studiumstätigkeit kontrolliert war; bei autonomer Motivation wurde weniger Multitasking berichtet. Gleichzeitig hängt autonome Studiumsmotivation mit besserer Stimmung und höherer Konzentration zusammen. Bezüglich Grit lässt sich festhalten, dass Studierende mit hohem Grit zwar nicht grundsätzlich weniger Multitasking berichten. In Situationen mit kontrollierter Studiumsmotivation stellt Grit jedoch einen Puffer dar: Studierende mit hohem Grit betreiben in Situationen mit kontrollierter Motivation weniger Multitasking als ihre Kommiliton*innen mit geringerem Grit. Die hier vorliegende Dissertation zeigt, dass Multitasking bei Studierenden häufig stattfindet und mit geringerer Konzentration zusammenhängt. Damit bestätigen die Ergebnisse zunächst einmal die oft geäußerte Sorge, dass Multitasking problematisch für die Lern- und Leistungsfähigkeit sein kann (z.B. Kuznekoff & Titsworth, 2013; May & Elder, 2018). Ein zentraler Befund der Dissertation ist jedoch, dass Multitasking durch eine ganzheitliche Perspektive besser verstanden werden kann: Wenn man neben kognitiven Aspekten, wie der Konzentration, zusätzlich auch affektive und motivationale Aspekte integriert, so können die Chancen, die Multitasking ebenfalls bietet, erkannt werden. So konnte gezeigt werden, dass autonomes Multitasking mit höherem positiven Affekt zusammenhängt. Außerdem tritt Multitasking besonders häufig auf, wenn die situative Studiumsmotivation kontrolliert ist – Multitasking scheint also eine kurze Ausflucht von einer ansonsten kontrollierten Situation zu erlauben. Es ist nachvollziehbar, dass sich Hochschulen, Lehrende und Studierende zum Thema Multitasking positionieren wollen. Auf Basis der vorliegenden Befunde erscheint ein kompletter Verzicht oder gar ein Verbot von Multitasking wenig empfehlenswert, da dies Studierenden die Möglichkeit nehmen würde, die positiven Aspekte dieses Phänomens für sich zu nutzen. Möchten Hochschulen, Lehrende und Studierende einen sinnvollen Umgang mit Multitasking finden, sollten Maßnahme implementiert werden, welche die Autonomie der Studierenden nicht angreift, sondern weiter fördert.