Psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während der Coronapandemie

Nikelski A (2024)
Bielefeld: Universität Bielefeld.

Bielefelder E-Dissertation | Deutsch
 
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Gutachter*in / Betreuer*in
Hornberg, ClaudiaUniBi; Tezcan-Güntekin, Hürrem
Abstract / Bemerkung
Hintergrund: Ältere Menschen (mit kognitiven Beeinträchtigungen) galten während der COVID-19-Pandemie aufgrund der höheren Erkrankungs- und Sterblichkeitsrisiken einerseits und der möglichen negativen gesundheitlichen Folgen pandemiebedingter Schutzmaßnahmen andererseits (soziale Isolation, Einschränkung von Versorgungsangeboten) als Risikogruppe. Ausgehend von der Annahme, dass die Pandemie als krisenhaftes Ereignis Auswirkungen auf die psychosoziale Gesundheit hat und in Anbetracht der unzureichenden Studienlage wurden zielgruppenspezifische Analysen gefordert.

Zielsetzung: Das Erkenntnisinteresse bestand darin, die pandemiebedingten Auswirkungen auf den Lebensalltag und die gesundheitliche Versorgung, die Folgen für die psychosoziale Gesundheit sowie das subjektive Erleben der als besonders vulnerabel geltenden Gruppe zu Hause lebender, kognitiv beeinträchtigter älterer Menschen zu beleuchten.

Methoden: Empirisch bearbeitet wurde das Thema anhand eines dreistufigen explanativ-sequenziellen Mixed-Methods-Designs. Quantitative und qualitative Forschungsansätze und Methoden wurden in drei inhaltlich aufeinander aufbauenden Teilstudien miteinander kombiniert.

In der ersten explorativen Querschnittstudie (t1) in 2020 wurden n=141 Personen (Ø 81,5 Jahre) mit kognitiven Beeinträchtigungen (MMST Ø 23,1) mittels strukturierter Telefoninterviews zu Wissen, Einstellungen und Sorgen sowie zu den Auswirkungen auf soziale Kontakte und die Gesundheitsversorgung befragt. Zur Erfassung der psychosozialen Belastung in Form von Ängstlichkeit, Depression und Einsamkeit wurden validierte Assessments (Generalized Anxiety Disorder Scale-7 (GAD-7), Patient Health Questionnaire-2 (PHQ-2), Loneliness Scale) verwendet. Die Daten wurden deskriptiv analysiert.

In der qualitativen Teilstudie wurden leitfadengestützte Interviews mit n=12 Personen (Ø 82,3 Jahre) geführt, die gesundheitlich beeinträchtigt, hilfe- oder pflegebedürftig waren (MMST Ø 24,8). Die Älteren wurden dazu befragt, wie sie die Pandemie, Risiken, Folgen und Schutzmaßnahmen erlebten, inwiefern sich diese auf ihren Lebensalltag auswirkten und wie sie damit umgingen. Die Daten wurden mittels inhaltlich strukturierender Inhaltsanalyse ausgewertet.

In 2021 wurde eine weitere Querschnittsstudie (t2) realisiert. Auf der Grundlage des ursprünglichen Befragungsinstruments, das unter Berücksichtigung der mittlerweile vorliegenden Erkenntnisse um weitere Themen und Assessments (Brief Symptom Inventory (BSI-18), Multidimensional Scale of Perceived Social Support (MSPSS), Resilienzskala RS-11) ergänzt wurde, wurden n=107 ältere Menschen (Ø 81 Jahre, MMST Ø 23,4) befragt. Für n=66 Teilnehmende lagen Daten zu beiden Zeitpunkten (t1, t2) vor, sodass zusätzlich eine längsschnittliche Analysen ausgewählter Belastungsindikatoren möglich war. Die Auswertung er-folgte mittels deskriptiver und nichtparametrischer Statistik.

Ergebnisse: Die Studienergebnisse während des ersten Lockdowns in 2020 verwiesen auf einen guten subjektiven Informationsstand und ließen eine mehrheitliche Zustimmung zu den Schutzmaßnahmen erkennen. Sorgen und Ängste fielen gering bis moderat, die instrumentelle Unterstützung hoch aus. Die Studie lieferte keine Hinweise dahingehend, dass sich die Pandemie kurzfristig negativ auf die psychosoziale Gesundheit auswirkte. Die psychische Belastung (Depression, Angst, Einsamkeit) war insgesamt gering. Soziale Kontakte waren zurückgegangen und Aktivitäten hatten sich verändert. Die Gesundheitsversorgung war pandemiebedingt eingeschränkt und hatte sich den Befragten zufolge verschlechtert.

In der qualitativen Teilstudie wurden erneut der gute Informationsstand und die Zustimmung zu den Schutzvorkehrungen sowie ein grundsätzliches Vertrauen in die Politik sichtbar. Die älteren Menschen machten sich aufgrund der Pandemie Sorgen im Allgemeinen, erlebten die persönliche Gefährdung, Belastung und Betroffenheit aber als gering, was im Kontext der bisherigen Lebenserfahrung, des erreichten Alters und der Lebenssituation, die durch gesundheitliche Probleme und Autonomieverluste gekennzeichnet war, stand. Die Auswirkungen auf die Alltagsgestaltung und die Gesundheitsversorgung waren gering. Einschränkungen wurden mit Blick auf das familiäre Leben erlebt, wobei die Angst vor Einsamkeit und die Sorge, alleine zu Sterben, zentral waren. Die Vorgabe familiärer Kontaktbeschränkungen wurden entsprechend kritisiert. Insgesamt zeigten sie ein hohes Maß an Akzeptanz und Anpassungsfähigkeit, hoben ihre Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Geduld hervor. Sichtbar wurden Ressourcen und Kompetenzen im Umgang mit der Situation.

Die Ergebnisse der dritten Teilstudie in 2021 präsentierten ein ähnliches Bild, wie die vorangegangenen Analysen. Die Sorgen fielen moderat, der Informationsstand gut, die Zustimmung zu den pandemiebedingten Schutzmaßnahmen und die Impfbereitschaft hoch aus. Obwohl soziale Aktivitäten zurückgegangen waren, konnten soziale Kontakte prinzipiell aufrechterhalten werden. Auch wenn einige Personen medizinische Versorgungsprobleme berichteten, war die gesundheitliche Versorgung in der Detailbetrachtung kaum infolge der Pandemie tangiert. Die psychische Belastung (Ängstlichkeit, Depressivität, Einsamkeit) war insgesamt gering und die Älteren verfügten über umfangreiche Ressourcen in Form von Sozialkapital und Resilienz. Die längsschnittliche Analyse zeigte, dass coronabezogene Sorgen und Ängste von 2020 bis 2021 signifikant zugenommen hatten, was sich jedoch nicht in einer gestiegenen Belastungssymptomatik widerspiegelte.

Schlussfolgerung: Die vorliegende Forschungsarbeit lieferte Evidenz dafür, dass die psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in der Häuslichkeit während der COVID-19-Pandemie relativ stabil war. Die Gesamtbetrachtung zeigte, dass der Großteil der Älteren – obwohl sie sich Sorgen machten und in verschiedenen Lebensbereichen Einschränkungen und Unsicherheiten erlebten – scheinbar gut mit der Situation umgehen konnte, psychisch stabil und widerstandsfähig war.
Jahr
2024
Seite(n)
30
Page URI
https://pub.uni-bielefeld.de/record/2991358

Zitieren

Nikelski A. Psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während der Coronapandemie. Bielefeld: Universität Bielefeld; 2024.
Nikelski, A. (2024). Psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während der Coronapandemie. Bielefeld: Universität Bielefeld.
Nikelski, Angela. 2024. Psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während der Coronapandemie. Bielefeld: Universität Bielefeld.
Nikelski, A. (2024). Psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während der Coronapandemie. Bielefeld: Universität Bielefeld.
Nikelski, A., 2024. Psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während der Coronapandemie, Bielefeld: Universität Bielefeld.
A. Nikelski, Psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während der Coronapandemie, Bielefeld: Universität Bielefeld, 2024.
Nikelski, A.: Psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während der Coronapandemie. Universität Bielefeld, Bielefeld (2024).
Nikelski, Angela. Psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während der Coronapandemie. Bielefeld: Universität Bielefeld, 2024.
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Material in PUB:
Teil dieser Dissertation
„Das muss man so nehmen.“ Eine Studie zum subjektiven Erleben der Coronapandemie älterer hilfe- und pflegebedürftiger Menschen in der Häuslichkeit
Nikelski A, Trompetter E, Feldmann S, Whittaker E-S, Boekholt M, Chikhradze N, Kracht F, Lucker P, Vollmar HC, Thyrian JR, Kreisel SH (2021)
Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 54: 359–364.
Teil dieser Dissertation
Lebensalltag und psychosoziale Gesundheit älterer Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während der COVID-19-Pandemie
Nikelski A, Trompetter EM, Boekholt M, Schumacher-Schönert F, Rädke A, Michalowsky B, Vollmar HC, Hoffmann W, Driessen M, Thyrian JR, Kreisel S (2024)
Psychiatrische Praxis 51(05): 253-262.
Teil dieser Dissertation
The situation of elderly with cognitive impairment living at home during lockdown in the Corona-pandemic in Germany
Thyrian JR, Kracht F, Nikelski A, Boekholt M, Schumacher-Schönert F, Rädke A, Michalowsky B, Vollmar HC, Hoffmann W, Rodriguez FS, Kreisel S (2020)
BMC Geriatrics 20(1): 540.
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