Armut, Scham und Stressbewältigung: die Verarbeitung ökonomischer Belastungen im unteren Einkommensbereich

Salentin K (2002) DUV.
Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl.

Dissertation | Veröffentlicht | Deutsch
 
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Abstract / Bemerkung
Soziale Einflüsse auf das Verhalten einkommensschwacher Personen in ökonomischen Belastungssituationen werden untersucht. Drei Fragestellungen stehen im Vordergrund: Ist das Expositionsrisiko, also die Gefahr, ökonomischen Stressoren ausgesetzt zu werden und dabei emotionale Belastungen zu erleiden, abhängig von Kriterien der vertikalen sozialen Schichtung? Ist eine benachteiligte wirtschaftliche Lage mit einem Defizit an nichtmateriellen Ressourcen der Belastungsverarbeitung verbunden, d. h. weisen die Verhaltensmuster der Personen im unteren Einkommensbereich Mängel der Art auf, daß sie sachadäquate Lösungswege weniger wahrscheinlich einschlagen als andere soziale Schichten und statt dessen zu problemabgewandten (evasiven oder intrapsychischen) Bewältigungsmustern neigen? Dies wurde in der Armutsforschung bisweilen angenommen. Wie wirken sich die sozialen Weiterungen der zunächst nur ökonomischen Probleme aus, insbesondere die Tatsache, daß finanzielle Schwierigkeiten das gesellschaftliche Ansehen des Individuums bedrohen? Die Untersuchung verwendet Daten einer Befragung von 1200 Haushalten in Ost und Westdeutschland, unter denen der untere Einkommensbereich überrepräsentiert war. Erhoben wurden Angaben zu exemplarischen Situationen, darunter eine größere Anschaffung im Haushalt, für die keine Rücklagen zur Verfügung stehen, ein Behördengang, bei dem eine Sozialleistung beantragt werden soll, und drohende Arbeitslosigkeit. Erfragt wurde jeweils, ob die Situation bereits erlebt wurde, wie sehr sie emotional belastend war und wie die Betroffenen reagierten. Die Reaktionen werden danach unterschieden, ob sie entweder sachbezogen sind oder aber der Linderung der emotionalen Belastung dienen, ohne die Person einer Problemlösung näherzubringen. Als Indikatoren der Schichtung dienen das bedarfsgewichtete Haushaltseinkommen und ein Index für Wohlstandsdefizite, der u. a. die Fehlausstattung mit langlebigen Konsumgütern mißt (die sog. Deprivationsarmut). Erfragt wurde daneben, welche Aspekte der Situationen subjektiv als problematisch empfunden wurden. Im individuellen Fall kann finanzielle Knappheit nicht nur das Haushaltsbudget belasten, sondern auch Befürchtungen um einen Verlust des Ansehens in den Augen der Umgebung, des Selbstwertgefühls, der Chance, Sozialkontakte zu pflegen, und anderer Werte auslösen. Folgende Hauptergebnisse sind zu berichten: 1. Das Expositionsrisiko steht in klarer Abhängigkeit von sozialstrukturellen Merkmalen. Besonders vertikale Schichtungsvariablen wirken sich auf die Wahrscheinlichkeit aus, in emotional belastende Situationen verwickelt zu werden, die ihren Ursprung in finanzieller Knappheit haben. In Haushalten mit niedrigem Einkommen oder hohen Ausprägungen des Deprivationsindex werden mehr Belastungssituationen erlebt als in bessergestellten Vergleichshaushalten. Da gezeigt werden konnte, daß die ausgewählten Situationen bei den Befragten in beträchtlichem Umfang Beunruhigung auslösen, kann der Schluß gezogen werden, daß ökonomische Benachteiligung zu erhöhtem emotionalen Streß führt. 2. Welche Faktoren sind für das Verhalten unter Belastung verantwortlich? Den größten statistischen Erklärungswert besitzen kognitive Faktoren: Je mehr die Befragten subjektiv ihre finanzielle Situation, ihr Ansehen und ihr Selbstwertgefühl bedroht sehen, desto stärker ist die sich einstellende emotionale Belastung, und desto intensiver fallen ihre Anstrengungen zur Linderung der emotionalen Beeinträchtigung aus. Die Neigung zu sachbezogenen Lösungsanstrengungen wird im wesentlichen von den gleichen Faktoren beeinflußt, doch tritt eine markante Anomalie auf: Während im allgemeinen eine stärkere Bedrohungswahrnehmung heftigere Reaktionen auslöst, senkt eine Bedrohung des Ansehens die Bereitschaft, problemorientierte Strategien einzusetzen. Insbesondere wird dann die für viele Lösungsstrategien notwendige Mobilisierung sozialer Unterstützung durch die Furcht unterbunden, das dem Ansehen abträgliche finanzielle Problem dabei erst offenbaren zu müssen. Generell wird aus Scham der Rückzug aus sozialen Interaktionen angetreten. Angesichts dieses Dilemmas wird nachvollziehbar, warum in realen Kontexten wichtige Informations und Beratungsmöglichkeiten oft ungenutzt bleiben. Sozialpolitische Maßnahmen gegen Armut müssen es folglich vermeiden, die Zielgruppe zu stigmatisieren, um die vorhandenen Selbsthilfepotentiale nicht zu blockieren; so fänden etwa anonyme behördliche Beratungsdienste eher Beachtung als viele heute übliche Angebote. 3. Wie ist es um den Zusammenhang zwischen sozialer Stellung und Belastungsverarbeitung bestellt? Bei bivariater Betrachtung besitzen die meisten Merkmale einen Effekt auf die Reaktionspräferenzen. Frauen verhalten sich eher problemorientiert, ältere Menschen sind weniger problem und stärker emotionsorientiert, ein hoher Berufsabschluß läßt auf weniger lindernde Bewältigungsanstrengungen schließen, und Deprivations sowie in gewissem Maß auch Einkommensarme zeigen mehr emotionsbezogene Reaktionen. Allerdings gibt es keine Hinweise darauf, daß Arme weniger problemorientiert mit Belastungssituationen umgehen. Wenn indessen in multivariaten Analysen das Merkmal Armut unter sonst gleichen Bildungs , Geschlechts und Altersvoraussetzungen untersucht wird, schrumpft sein Effekt. In den meisten Situationen erweist es sich als statistisch insignifikant. Daß der Personenkreis der Armen gewisse Verhaltensbesonderheiten an den Tag legt, hat also offenbar nicht mit dem Einkommen oder dem Lebensstandard zu tun, sondern mit dem Umstand, daß sie Träger einer Kombination ungünstiger soziodemographischer Mermale sind. Ferner wurden indirekte Effekte der Schichtung über die Ausstattung mit sozialen und psychischen Ressourcen auf das Bewältigungsverhalten geprüft, jedoch ohne nennenswerte Ergebnisse. Der hier erarbeitete Befund bestätigt neuere Erkenntnisse der Armutsforschung, denen zufolge (Einkommens )Armut in Gegenwartsgesellschaften weniger das umfassende und verfestigte psycho-sozial-ökonomische Syndrom einer Subkultur als vielmehr ein ephemerer Zustand einer bis weit in die Mittelschicht hineinreichenden und fluktuierenden Bevölkerungsgruppe darstellt, die in der zentralen Tendenz keine unüberwindbaren Probleme besitzt. Die Sozialpolitik kann davon ausgehen, daß der untere Einkommensbereich armutsüberwindende Angebote nicht weniger bereitwillig aufgreift als andere Schichten.
Stichworte
Psychosoziale Belastung; Bewältigung; Umfrage; Deutschland; Armut
Erscheinungsjahr
2002
Serientitel
DUV
Seite(n)
XIII, 264
ISBN
3-8244-4464-X
Page URI
https://pub.uni-bielefeld.de/record/2434456

Zitieren

Salentin K. Armut, Scham und Stressbewältigung: die Verarbeitung ökonomischer Belastungen im unteren Einkommensbereich. DUV. Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl.; 2002.
Salentin, K. (2002). Armut, Scham und Stressbewältigung: die Verarbeitung ökonomischer Belastungen im unteren Einkommensbereich (DUV). Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl.
Salentin, Kurt. 2002. Armut, Scham und Stressbewältigung: die Verarbeitung ökonomischer Belastungen im unteren Einkommensbereich. DUV. Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl.
Salentin, K. (2002). Armut, Scham und Stressbewältigung: die Verarbeitung ökonomischer Belastungen im unteren Einkommensbereich. DUV, Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl.
Salentin, K., 2002. Armut, Scham und Stressbewältigung: die Verarbeitung ökonomischer Belastungen im unteren Einkommensbereich, DUV, Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl.
K. Salentin, Armut, Scham und Stressbewältigung: die Verarbeitung ökonomischer Belastungen im unteren Einkommensbereich, DUV, Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl., 2002.
Salentin, K.: Armut, Scham und Stressbewältigung: die Verarbeitung ökonomischer Belastungen im unteren Einkommensbereich. DUV. Dt. Univ.-Verl., Wiesbaden (2002).
Salentin, Kurt. Armut, Scham und Stressbewältigung: die Verarbeitung ökonomischer Belastungen im unteren Einkommensbereich. Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl., 2002. DUV.
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